Explosive Mischung

H.O.M.E Mag Januar 2021 - Text: Gabi Czöppan Fotos: Michael Kammeter

Er ist erst 24 und schon eine Marke: Alexander Höller berauscht mit vielschichtigen Bildern, in denen Nervenbahnen, Pflanzenwurzeln und immer wieder der Wald als Superorganismus auftauchen. Ein Besuch in seinem Atelier in München

Herr Höller, warum nennen Sie sich „The Emotion Artist“? Ich war 19, saß mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder beim Abendessen und jeder erzählte von seinem Tag. Ich hatte gerade
zwei Bilder an einen Geschäftsmann aus Köln verkauft. Und der hatte mir seine Beweggründe für den Kauf geschil- dert: Das eine Bild wirke beruhigend auf ihn, das andere, in einem auffallenden Magenta, gebe ihm Energie. Da wusste ich plötzlich: Hey, genau das bin ich, The Emotion Artist. Auf der einen Seite sehr laut und auffallend, auf der anderen Seite ruhig und emotional. Vor zwei Jahren habe ich mir die Wörter dann auf die Stirn tätowieren lassen, in meiner Handschrift.

Ein Tattoo im Gesicht ist eine dauerhafte Veränderung. Hat Ihnen das keine Angst gemacht? Ich weiß natürlich, dass ich damit nicht in ein bürgerliches Leben passe, und das will ich auch gar nicht. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, sehe ich, was ich bin und was mir Antrieb gibt. Und ich weiß: Du hast dich selber zum Kunstwerk gemacht. Jedes Tattoo auf meinem Körper hat seine Bedeutung, einige habe ich selbst gezeichnet. Über meiner Brust steht zum Beispiel „Art is my Passion“.

Und auf Ihren Fingern liest man „LIVE, LIFE“. Gehört Tätowieren auch zu Ihrer Kunst? Ich habe vor Kurzem das erste Mal meinen Tätowierer tätowiert. Das ist, als ob man in die Luft zeichnet. Man braucht eine sehr ruhige Hand. Das ist gar nicht mein Medium. Ich produziere Kunst lieber explosiv und im großen Stil, in Öl auf Leinwand.

Bleiben wir noch mal beim Äußerlichen: Mode gehört offensichtlich auch zu Ihrer Selbststilisierung. Was tragen Sie heute? Ein T-Shirt der schwedischen Metal-Band Preach. Ich höre viel Punk und finde diese Band-T-Shirts einfach cool. So fühle ich mich wohl.

Ist das Teil Ihres Werks? Des Gesamtkunstwerkes Alexander Höller. Mir ist Mode sehr wichtig. Meine Mutter hat Mode studiert, daher habe ich wohl früh ein Faible dafür entwickelt.

Wann haben Sie mit dem Malen begonnen? Ich habe mit 13, 14 Graffiti gesprüht und so den Zugang zu Farbe und Kunst gefunden. Im elterlichen Garten habe ich dann mit dem Malen angefangen, das hat sich alles schnell entwickelt. Meine erste eigene Ausstellung habe ich mit 16 in meiner Heimatstadt Schweinfurt organisiert und dort meine ersten Bilder für 50 bis 250 Euro verkauft. Mittlerweile kommen Galerien auf mich zu, die mich ausstellen wollen.

Ein mittleres Bild von Ihnen kostet inzwischen rund 40.000 Euro. Ihr Vater ist der bekannte Mentalcoach Jürgen Höller. Hat er Sie gefördert? Er hat mich nie unter Druck gesetzt. Im Gegenteil. Es war immer ich, der ihn löcherte und nach Tipps fragte. Immerhin hat er 35 Jahre Berufserfahrung und konnte mir erklären, wie das Geschäftsleben funktioniert. Es war dann allerdings nicht einfach für ihn, als ich ihm mit 17 kurz vor dem Abitur eröffnete, dass ich die Schule abbrechen wollte, um Künstler zu werden.

ARCHÄOLOGE
An jedem seiner Gemälde
arbeitet Alexander Höller monatelang. Einige bestehen aus bis zu zwanzig Schich- ten. Das Blattgold seiner neuen Serie „Ewigkeit“ rieb er mit der Hand auf das Bild

Mussten Sie sich durchsetzen? Letztendlich hat er zuge- stimmt. Er hat erkannt: Er erzählt den Leuten auf der Bühne, dass sie ihre Träume leben sollen, und sein eigener Sohn macht es halt.
Sie haben als Jugendlicher gut Fußball gespielt. Hat Ihnen das Training bei Ihrer Kunst geholfen? Ich habe Disziplin gelernt. Ich war Torhüter beim 1. FC Schweinfurt 05, aber meine Karriere ist letztlich an meiner Körpergröße gescheitert. Ich bin 1,76 Meter groß. Ich hatte viermal die Woche Training, am Samstag Spiele und stand Sonntag- früh wieder auf dem Platz. Das mache ich heute genauso mit meiner Malerei. Ich gehe jeden Tag ins Atelier, und wenn ich nur so dasitze und zwei Stunden überlege, wie es weitergeht.

Ab wann haben Sie sich Künstler genannt? Ich bin mit 17 ausgezogen und habe ein Jahr lang eine Zeichenschule in München besucht. Ich wollte das Sehen richtig lernen, auch Aktzeichnen stand auf dem Stundenplan. Als ich dann endlich 18 war, konnte ich mich an einer Kunst- akademie bewerben. Ohne Hochschulreife muss man eine Begabtenprüfung ablegen. Es klappte auf Anhieb in Nürnberg. Als mein Professor Thomas Hartmann inRente ging, entschied ich mich zu wechseln. Ich wollte nach Berlin oder München. Ich hatte schon die Zusage von der Universität der Künste in Berlin, entschied mich dann aber für die Klasse von Gregor Hildebrandt in München. Berlin ist eine megageile Stadt, aber es gibt dort zu viel Ablenkung. Ich brauche zum Malen meine Ruhe. In München kann ich, wenn ich Lust habe, auch mal in die Berge fahren und in der Natur sein.

Wo holen Sie sich Inspiration? Hauptsächlich im Wald. Ich bin am Waldrand aufgewachsen und habe dort ganze Nachmittage lang gespielt. Mit 14, 15 wurde der Wald zu meinem Zufluchtsort, ich merkte, wie wichtig Bäume für uns sind. Es fasziniert mich, dass Bäume unterir- disch über ihre Wurzeln miteinander kommunizieren. Wir Menschen stellen uns über die Natur, können aber ohne sie nicht leben.

Malen Sie im Freien? Ich empfinde den Wald als Sehnsuchtsort. Ich stehe früh um sechs auf und suche das Morgenlicht. Im Rucksack habe ich Zeichenblock und Handy, ich zeichne und fotografiere, etwa Baumkronen. Die Striche übertrage ich vom Kleinen ins Große auf die Leinwand und schichte sie übereinander. Daraus entstehen meine Bilder. Der Strich, der Gestus ist entscheidend.

Hören Sie im Atelier Musik? Kommt darauf an, woran ich arbeite. Wenn ich die Farbe expressiv auf dem Boden verspritze und das körperlichen Einsatz erfordert, höre ich gern laut Musik, über Kopfhörer. Zur Zeit höre ich Machine Gun Kelly, manchmal läuft auch Jimi Hendrix, je nachdem, die wie vielte Schicht ich auftrage.

Aus wie vielen Schichten bestehen Ihre Bilder? Aus bis zu zwanzig. Das dauert Monate. Und wenn ich diffizile, feine Schichten bearbeite, muss es absolut still sein. Bei meinen neuen Bildern habe ich mit den Händen Blattgold eingearbeitet, das hatte fast schon etwas Meditatives. Es dauerte Stunden, bis ich das über die Bildflächen eingerieben hatte.

Wie lange arbeiten Sie an einem Bild? Mittlerweile werde ich schneller, die Technik musste ich mir erst aneignen. Es gibt Bilder, an denen sitze ich nur fünf, sechs Monate, das ist das Minimum. Andere stelle ich auch mal zwei Jahre weg, bevor ich sie wieder hervorhole. Darauf fackle oder schleife ich dann eine Schicht ab und fange neu an. Es hat etwas Archäologisches, wenn ich ein Bild wieder ausgrabe und die unteren Schichten darauf hervorkratze, sozusagen die Vergangenheit hervorhole.

Malen Sie nur abstrakt oder auch mal figurativ? Ich finde Bilder langweilig, deren Kern man sofort erkennt. Eines meiner Hauptthemen ist der Wald, der taucht in vielen Bildern versteckt auf. Ich male den Wald ja nicht ab, ich will die Stimmung wiedergeben, die Lichter, die Verästelungen. Auch Selbstporträts stecken darin.

Haben Sie Vorbilder? Ich habe mich schon immer den amerikanischen abstrakten Expressionisten, Jackson Pollock, Willem de Kooning und Mark Rothko, nahe gefühlt. Sie malten, was und wie sie wollten, egal wie über sie gesprochen wurde. Groß und laut. Das haben später Georg Baselitz und Anselm Kiefer aufgegriffen. Die beiden sind auch meine Heros.

Einige Bilder heißen „Neurons“, sie handeln davon, wie Leben entstanden ist. Ist das ein Thema? Ja, das ist ein Thema, die Kunst als Medium, um die Welt zu erklären. „Urknall“ wird wahrscheinlich meine nächste Ausstellung heißen.

Ihre Bilder hängen auch bei Prominenten. Ist es Ihnen wichtig, wer Ihre Bilder kauft? Nein. Natürlich freue ich mich, wenn Oliver Kahn, der mein Kindheitsidol war, Bilder von mir hat, oder Arnold Schwarzenegger. Das ist eine Ehre.

Eine ebenso große, wie im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) auszustellen? Mein großes Ziel ist es, zu Lebzeiten einmal eine Einzelausstellung im MoMA in New York zu haben. Das ist mein Traum, seitdem ich mit 17 das Museum besucht habe. Dieser Weg dahin, jeden Tag einen Schritt weiter, manchmal zwei Schritte zurück, beflügelt mich. Es macht Spaß, jeden Tag auf- zustehen und machen zu dürfen, wofür ich mich mit 17 entschieden habe: im Atelier Bilder malen. Ich bin dankbar und stolz, dies schon in jungen Jahren geschafft zu haben. Ein Leben ohne Kunst ist für mich nicht mehr vorstellbar. Meiner Kunst gilt der letzte Gedanke vorm Einschlafen und der erste Gedanke, wenn ich aufstehe. Meine Bilder sind ich, ich bin meine Bilder, und durch sie kann ich sprechen.